Zeiträder

Zeiträder

erschlafft ist die Hand
die um Hilfe ruft
und die Tränenquelle versiegt
ich lass mich zermalmen
von den Rädern der versäumten Zeit
alle haben sich abgewandt
es waren nur Träume, die uns verbanden
die Träume sind jetzt vorbei
jetzt zählt nurmehr das Fleisch, das zerfällt
zur Nahrung dem Samen von einst

 

transcendentia 

Ich wollte einen Freund besuchen,
den ich lange nicht gesehen,
wollt’ mit ihm zusammen singen
und zum alten Brunnen gehen.
Ich betrat sein Haus
und suchte ihn –von dem Licht,
das durch die Bäume fiel,
schimmerte es drinnen grün,
schimmerten die Noten am Klavier
und die Bücher an der Wand.
Auf dem Schreibtisch lag Papier,
überm Sessel hing Gewand.
Ich stand und lauschte nach den Liedern,
die noch vor kurzem hier erklangen,
sah das Abendrot verglühen,
spürte Tränen auf den Wangen.
Erst als ich das stille Haus verließ – alleine
und der Nachtwind durch die Zweige blies,
da drangen Töne an mein Ohr,
und ich dacht‘, es wären seine.

 

Rosengarten

Die Lebensgeister schwinden
ich schleppe mich dahin
sag, wo kann ich finden,
die Rosen, die verblüh’n,

sag, wo kann ich brechen
der süßen Blüten Pracht
mögen sie auch stechen
sie duften in der Nacht.

Mit Rosen will ich sterben
in ihren Duft gehüllt
und die Verheißung erben
die jede Sehnsucht stillt.

Mag auch der Leib zerfallen,
der Rosenduft verweh’n,
so werd ich doch mit allen
im Rosengarten geh’n.

 

Für Schückür, den damaligen Freund meiner Tochter,
der am 4. Februar 08 bei einem Autounfall ums Leben kam

Es ist Nacht
und ich möchte fliegen
Ich klopf an dein Fenster
Die Freunde warten im Auto
Du öffnest, ich flehe dich an:
Fliegst du mit mir, meine Freundin,
ein Platz ist noch frei
Du willst nicht, hast Kopfweh?
So borg uns bitte Musik, deine Musik,
wir brauchen Musik zum Fliegen,
denn unser Lied will ich hören:
„Und du glaubst, ich bin stark und ich kenn den Weg“
Fliegen möchte ich, fliegen
Keine Angst, wir passen schon auf, wir drei
Es ist Nacht, auf dieser Straße sind wir allein.
Wir brausen dahin, schneller und schneller,
die Reifen, sie singen,
der Fahrtwind rauscht,
nachtschwarze Bäume rasen vorbei.
Unser Lied – ich dreh es ganz laut:
„Und du glaubst, ich bin stark und ich kenn den Weg“
Ah fliegen, einmal flieg ich mit dir!
Einmal bin ich so stark wie du glaubst,
doch wer zeigt uns den Weg?
Und plötzlich reißt das Lied ab.
Und plötzlich fallen die Bäume über uns her,
es splittert und klirrt,
das Auto verliert die Facon.
Mein Körper verliert die Facon.
Ich schreie.
Ich höre die anderen schreien
Ich hör nur mehr einen schreien
Ich höre keinen mehr schreien,
denn ich fliege jetzt wirklich.
Ich sehe das Knäuel aus Blech dort unten
Tut mir leid, meine Freundin
Unser Lied ist zerbrochen
Tut mir leid, meine Freundin
Ich kann nicht mehr stark sein für dich
Tut mir leid, meine Freundin,
ich fliege allein
Schau nicht auf das Blut
Wer zeigt mir den Weg?

© Maria Harbich-Engels