1. Jänner 2008

Das Jahr ist erst 2 oder 3 Stunden alt, als ich aufwache. Der Halbmond steht über dem Ozean. Seine silberne Spur glitzert auf dem ruhigen Wasser weit draußen und auf den ans Ufer brandenden Wellen. Unzählige Sterne funkeln in verschiedenen Farben.

5 Uhr: blassrotes Licht im Osten. Über Pyjama und Trainingsanzug ziehe ich Pullover und Jacke und wandere den Strand entlang. Er liegt nach der Flut noch unberührt und schimmert hier gelblich, dort hellbraun oder rötlich. Die Wellen haben bogenförmige Spuren hinterlassen, oft verziert mit Muscheln und Krabbenteilen. Die Morgensonne, die Neujahrssonne, die ich über dem Ozean habe aufgehen sehen, taucht alles in ein warmes Licht. Sonderbare Felsen stehen herum. Ihre parallel laufenden hellen und dunklen Schichten sind in den verschiedensten Krümmungen und Windungen erstarrt. Die lehmigen Wände der Uferböschung, ja selbst der lose Sand hat ein Muster, je nach Wind oder Strömung gerippt, gefurcht oder geriffelt.

Beim Frühstück sitzen wir dann schon im Leiberl auf der Klippe. Rund um uns rauscht das Meer.

Hügelauf hügelab fahren wir anschließend Richtung Süden. Am Nachmittag erreichen wir den Nuggetpoint , ein schmales, sehr hohes und dementsprechend steiles Stück Land, das in das Meer hinausragt. An seinen Ufern und auf den, von blauem Wasser und weißer Gischt umspülten Felseninseln, die malerisch davor liegen, hört man Seelöwen brüllen. Wirklich gesehen hätte ich sie nur mit einem Fernglas. Kormorane kann ich ausnehmen und viele, viele Möwen. In der Roaring Bay beobachte ich von weitem 2 Gelbaugenpinguine, wie sie aus dem Wasser steigen, sich ausgiebig putzen und dann über Sand und Felsen zu einem Pfad watscheln, der zu ihrem verborgenen Nest am Berghang führt. Stufe für Stufe hüpfen sie berauf, sie, die sich im Wasser so geschmeidig bewegen können.

Es ist sehr heiß, vor der Weiterfahrt möchte ich unbedingt noch ein bisschen Abkühlung. Die kann ich schnell haben. Ich laufe im Badeanzug an den Strand, dessen Sand von spitzen Felsen übersät ist, eine wilde Welle schwappt über mich, der Wind bläst mir durch die Haare und weiter geht’s.

Surat Bay . Wir ergattern die letzten 4 Quadratmeter Stellplatz auf einem winzigen Campingplatz am Rand eines Estuary, einem den Gezeiten unterworfenen Mündungsgebiet eines Flusses, in dem sich Süß- und Salzwasser mischen. Hinter dem flachen Strand beginnen die Sanddünen, ein weites Gebiet, das von Gräsern, niedrigen Sträuchern und neuseeländischem Flax bewachsen ist. Letztere Pflanze hat lange, lilienblattähnliche, aus dem Boden wachsende, harte grüne Blätter, aus deren Fasern die Maoris ihre Kleidung flochten. Sie waren von wärmeren Inseln gekommen und fanden hier, abgesehen von Fledermäusen, keine Säugetiere vor, die ihnen Haare, Fell oder Haut spenden konnten. Ich fotografiere eine hübsche, kleine Pflanze, die sich als sehr anhänglich erweist: auf einem hohen Stängel mit gefiederten, gelappten Blättern sitzt eine grüne Kugel, gespickt mit roten Stacheln, die mit Widerhäkchen versehen sind. Hat ein Stachel das Glück, an jemandem hängen zu bleiben, nimmt er einen Samen mit, der so weiterverbreitet wird. Hinter den Dünen wächst ein noch junger Wald aus Totaras. Mindestens doppelt so hoch ragen daraus wetterzerzauste Zypressen heraus, die hier eigentlich nicht heimisch sind, aber höher wachsen als in Europa. Zwischen ihren gewaltigen Stämmen und den bis auf den Boden reichenden Zweigen hat sich ein schummriger Gang gebildet, der mich in den Totarawald führt. Der Waldboden ist bedeckt von Wurmzungenfarn, das in den letzten Sonnenstrahlen intensiv leuchtet. Während es abenddüster wird, höre ich wunderbaren Gesang. Es schnarrt und schnalzt und klingt wie Glocken, dann wieder mehrstimmig wie eine Mundharmonika. Plötzlich entdecke ich den Sänger: groß wie ein Mittelspecht, schillernd schwarz mit einer weißen Halskrause, die auf der Kehle ein dichtes Büschel bildet, reißt er den Schnabel auf lange bevor ich einen Ton vernehmen kann. Wie schön singt der Tui, denn als solchen habe ich ihn identifiziert, wirklich, wenn schon das, was ich hören kann, mich so berauscht? Sein Gesang begleitet uns noch bis in den Schlaf.