14. Jänner 2008

Der Glacierburntrack

Glacier heißt Gletscher, ein track ist ein Wanderweg. Was burn heißt, wissen wir nicht. So denken wir uns, dieser Weg würde zum Gletscher führen. Was ein fataler Irrtum ist. Burn ist nämlich das schottische Wort für Bach. Dieser Weg soll also nur zu einem Gletscherbach führen, ich aber träume vom Gletscher. Gerald wartet unten im Bus, während ich bei trübem Wetter aufbreche. Die vereinzelten Markierungen führen mich einen Wildbach entlang, bis ich die nächste Markierung vom gegenüberliegenden Ufer leuchten sehe. Das Wasser ist zu wild, um es halbwegs trockenen Fußes durchqueren zu können, so rutsche ich über einen Baumstamm, der quer über den Fluss gefallen ist. Am anderen Ufer taucht der Weg in einen Wald aus uralten Südbuchen. Der Boden, der bald sehr steil ansteigt, ist von Farn bedeckt. Je höher ich steige, desto mehr bemoost sind der Waldboden und der untere Teil der Stämme. Die Farnpflanzen werden seltener. Links von mir rauscht der Wildbach in einer Schlucht. Ein Bellbird pfeift zaghaft, ein Tui vielleicht, sonst ist es sehr still. Zwei mal quere ich kleine morastige Rinnsale. Nach ca. eineinhalb Stunden ist der Wald zu Ende. Eine zunächst noch von vielen Beeches-Schößlingen überwachsene Halde aus grobem Schotter liegt vor mir, flankiert von den letzten Ausläufern des Waldes. Auf einem morschen Stamm ist die letzte Markierung befestigt. Wie geht es weiter?

Ich schaue auf die Steilwand, von der zwei Wasserfälle herunterstürzen. Links, von einem hohen Berg aus dunklem Fels, sieht man ein Bächlein herunterkommen und dann als feiner Schleier über eine senkrechte Wand fallen. Einige steinerne Wegzeichen verwirren mich und lassen mich zwischen Wildbächen und Felsblöcken nach einem Pfad suchen. Ich überlege, wo ein solcher führen könnte. Hinter der Oberkante der Steilwand, von der die Wasserfälle herunterstürzen, muss der Gletscher sein. Rechts davon reicht ein Schotterkegel weit hinauf. Wenn es einen Weg gibt, dann dort. So arbeite ich mich Schritt für Schritt den steilen Schotterkegel hinauf, zum Teil die Hände zu Hilfe nehmend. Rechts blinkt hin und wieder die Sonne auf nassen Felsen, dann wallt wieder Nebel zwischen steilen Abbrüchen. Ein weiterer Wasserfall ist zu sehen, der durch ein Schneefeld fließt. Ich glaube, es kann nicht mehr so weit sein und suche im Schutt nach festeren Streifen, die man an den kleinen weiß-rosa Blumen erkennt.

Schließlich erreiche ich eine mit Kräutern bewachsene Fläche, auf der ich weniger abrutsche. Dann wird es wieder felsig. Im Nieselregen sieht man erst, wie bunt die grauen Steine sind. Rot gefleckte fallen mir auf, dunkle mit dicken weißen Adern, goldene und hellgrüne mit einer feinen bunt gestreiften Zeichnung. Ganz voller Tropfen stehen ein paar kleine weiße Blumen zwischen den Steinen, die fast so aussehen wie Edelweiß. Der große Wasserfall tost jetzt neben mir. Zwischen den wabernden Wolken sehe ich über dem Felsrand hoch oben scharfe Spitzen. Plötzlich wallt der Nebel zu mir herunter und nimmt mir für ein paar Augenblicke die Sicht. (Während einer kurzen Rast habe ich auf Glenorchy heruntergesehen, auf die Lagune und die beiden riesigen Flussdeltas.) Schritt für Schritt arbeite ich mich hoch. Die Felsenkante ist jetzt zum Greifen nahe. Hinter ihr lagern die Wolken, die man schon von unten sehen konnte. Beginnt dort der Gletscher? Ich bezweifle es jetzt, weil ich zwischen den Wolken dahinter wieder Felswände gesehen habe. Es wird besonders steil. Der feine Kies auf lehmigem Untergrund gibt mir kaum mehr Halt. Plötzlich verwandelt sich das Nieseln, das hin und wieder über die Berge geweht worden ist, in stärkeren Regen. Große Tropfen klatschen mir ins Gesicht. Der steile Hang wird ziemlich rutschig. So beschließe ich, umzukehren. Es ist hart, so kurz vor dem Ziel aufzugeben.

Erst jetzt merke ich, dass ich für die Halde, die doch so kurz erschien, eineinhalb Stunden gebraucht habe. Erstaunlicherweise brauche ich hinunter ebenso lange. Es ist eben doch zu steil und schottrig. Jetzt macht sich auch noch die Müdigkeit bemerkbar und ich muss mich sehr konzentrieren. Einmal muss ich wieder zurück Richtung Berg, weil ein abschüssiger Felsen unüberwindbar ist, mehrmals muss ich über einen Arm des Wildbaches, der in kürzester Zeit auf das Doppelte angeschwollen ist. Ich trinke noch ein paar Mal das frische kalte Wasser und erreiche endlich, endlich wieder die letzte Markierung, die wohl das Ende des Weges bedeuten soll.

Im Wald bin ich zum Glück trittfester. Ich muss nur die glitschigen, nassen Wurzeln meiden. Es regnet noch immer stark. Die hohen Farnkräuter sind ganz nass, in kurzer Zeit auch meine Hose. Die Regenjacke lässt schon Wasser durch und bald quatscht es in den Schuhen. Aber der tropfende Wald ist schön. Das Moos leuchtet. Ich freue mich mit ihm über den Regen. Eigentlich könnte ich jetzt wieder ein River-crossing machen, statt über den nassen Baumstamm zu rutschen, aber der Glacier Burn hat sich dramatische vervielfacht. Das braune aufgewühlte Wasser ist viel zu reißend. Zum Glück finde ich weiter unten eine Brücke und erreiche unseren Bus, indem Gerald schon voll Sorgen gewartet hat. Von Glenorchy aus sehen wir dann, dass der Weg über die Geröllhalde genauso lang ist wie der Waldweg, und dass wirklich über der Kante, die ich erreichen wollte, Schnee liegt. Es dürfte ein Muldengletscher sein