8. Jänner 2008

In der Nacht sehe ich Sterne leuchten und Nebel steigt aus dem Fluss. In der Früh ist er überall. Aus Furcht vor den Sandflies fahren wir gleich weiter. Zwischen den Nebelschwaden zeigt sich da und dort ein verschneiter Gipfel. Wir lassen den Fluss mit seinen Nebelbänken etwas beiseite und gelangen auf eine große, mit kurzem Gras bestandene Fläche. Wie ein großer Teller liegt sie inmitten der Wälder. Während eines schnellen Frühstücks betrachten wir die noch ferne Bergkette vor uns. Weiße Gipfel glänzen im ersten Licht. Wir brechen auf, um noch vor den Reisebussen bei den Mirror-Lakes zu sein. Ganz still ist es dort. Die Oberfläche der dunklen Seen wird von keinem Hauch bewegt. Flax spiegelt sich drinnen, der Nebel über dem Fluss hinter der bläulich schimmernden Sumpflandschaft, die noch im Nachtschatten liegt, und die Berge jenseits des Flusses, leuchtend in den warmen rötlichen Farben der aufgehenden Sonne. Wir haben Zeit und lassen die Bilder auf uns wirken.

Einige Kilometer weiter wandern wir einen gut befahrbaren Weg durch einen Urwald aus Redbeeches und Mountainbeeches. Die Stämme sind bis zu 2 Meter dick, oft unten verbreitert, und 40 Meter hoch. Ebensolche Baumriesen liegen abgestorben am Boden. Alles, was hier wächst oder liegt, ist mit einer dicken sattgrünen Moosschicht bedeckt. Der Boden ist feucht, kleine dunkle Tümpel überall, Farne da und dort, ein paar niedrige Sträucher, Mountainflax. Oberhalb von 4 oder 5 Metern ist nichts mehr bemoost. Die Stämme ragen wie riesige Säulen aus der grünen Welt, manche wachsen gedreht wie Seile, manche tragen Gallen so groß wie ein zusammengekauerter Mensch. Irgendwo hoch oben sind die lichten immergrünen Kronen. Als wir ans Ufer des glasklaren, dreieinhalb km langen Lake Gunn treten, steigt die Sonne über die Berge im Osten. Ihre Strahlen beleuchten den Morgendunst, brechen sich blendend auf der leicht gekräuselten Oberfläche des Sees, erreichen die weiß blühenden Manukabäume am Ufer, den blaugrünen Flax und das silber blühende Schilf und verwandeln den grünen Wald in einen Zauberwald aus grünem Licht und grünem Schatten. Zwei Robins, kleine dunkelgraue Vögel mit weißer Brust, spielen zwischen den Stämmen, schauen uns mit großen dunklen Augen an, hüpfen hierhin und dorthin und kommen uns ganz nahe.

Nach dieser Wanderung fahren wir durch hohe, dichte, aber helle Wälder, schließlich an einem See vorbei zu einem Parkplatz, von dem der Root burn track ausgeht. Während Gerald freche moosgraugrüne Keas beobachtet – wenn diese Papageien auffliegen, sieht man die orangerote Flügelunterseite -, wandere ich durch den kühlen Wald aus Mountainbeeches und Silver Beeches. Noch hängt Nebel im Tal, doch ab und zu reißt er ein wenig auf und zwischen in rotbraune Moospolster eingehüllten Ästen wird ein schneebedeckter Gipfel sichtbar. Er steht in vollem Sonnenlicht, leuchtendhellblau das Stück Himmel dahinter. Auf meinem Hang ist es noch dunkel. Tau regnet aus den Kronen und tropft aus den Moosen. Über einen kahlen Felsen springt ein Bächlein, ein Stückchen weiter ein Wasserfall. Er erscheint hoch über mir und fällt in drei Stufen herab, wobei er sich an der untersten Stufe wunderschön auffächert, in einem Becken aus Sand und Steinen verweilt und unter dem Brückerl, auf dem ich stehe, in die Tiefe stürzt. Plötzlich gerate ich in einen feinen Nebel. Über mir ruft ein Tui, von einem Baum auf der anderen Seite des Weges ein zweiter, dort ein dritter. Oder ist es immer derselbe, der mich narrt? Seine volltönende Stimme in diesem dichten, gespenstisch verschleierten Urwald erinnert mich an eine Geschichte über einen verzauberten Vogel.

Der Weg wird langsam steiler. Bald schon schaue ich von oben in die Kronen mancher Urwaldriesen. Überall haben sich Rinnsale gebildet. Kleine Quellen treten auf der Bergseite aus, plätschern in steinernen Rinnen neben dem Weg und stürzen als Bächlein den steilen Hang hinunter. Jetzt endlich dringt das erste Sonnenlicht in den Wald, lässt ein Farn aufleuchten, ein Spinnennetz voller kleiner Tautropfen, bricht als starker, im feinen Nebel sichtbarer Strahl durch das Kronendach, verdampft das in den Moospolstern gespeicherte Wasser in quellenden Wölkchen und taucht schließlich den ganzen Wald in zauberhaftes Licht. Bald erreiche ich seine obere Grenze und steige einen steilen, mit niedrigen Büschen bewachsenen und im prallen Sonnenlicht liegenden Hang empor. Ich sehe Daisytrees, eine Art Wetterdistelmargarite, und Farn, dessen junge Blätter rot sind. Ein uralter, gedrungener, oben mit roten und unten mit grünen Moosen bewachsener Wald aus Silverbeeches und einheimischen Zypressen duckt sich an den steilen Hang und reicht fast bis zum Gipfel des Key Summit , von dem aus ich einen Kranz von Bergen sehen kann. Den Mt. Cristina, der gemeinsam mit dem Mt. Little und dem Mt. Crosscut einen großen Bergsee umschließt: den Lake Marian, der einen wild schäumenden Gebirgsfluss entlässt. Auch im NW noch weitere Spitzen der Darran Mountains, die sich bis zum Milfortsound erstrecken, im W die Earlmountains mit seinem spitzen Pyramid Peak. Nach N erstreckt sich das tief eingekerbte Tal des Hollyford Rivers, dessen türkisblaues Band von den dunklen Wäldern absticht und sich später in einer schottrigen Ebene aufspaltet und verbreitert, sodass das Blau seines klaren Wassers bis zu mir herauf leuchtet. Im O reihen die Alisa Mountains Rücken an Rücken, nicht so hoch und spitz wie die anderen, doch auch auf ihnen ist da und dort ein kleines Schneefeld zu sehen, aus denen in der Sonne glänzende Rinnsale entspringen.

Die ganze Bergkuppe ist von Teppichen aus Moosen bedeckt. Kleine weiße Sternchen blühen drinnen, duftige hellgrüne Bergzypressen, so groß wie Latschen, wachsen dazwischen. In kleinen flachen dunklen Seen, die noch aus der Eiszeit stammen, sog. Bogs, spiegelt sich der Himmel.

Der Route Burn Track führt hier entlang. Er folgt den Spuren der Maoris, die hier entlangkamen auf dem Weg zum Milfort Sound, wo sie nach Jade suchten.

Drei Flüsse entspringen auf diesem Berg der Wässer: Der Eglinton, der den Lake Gun bildet, in den Lake Te Anau fließt, über den „Anduin“ in den Lake Manapouri und von dort Richtung Süden ins Meer. Der Greenstone River, der südlich von Glenorchy in den Lake Waikatipu fließt und im Kawarau River und Clutha River im SO ins Meer. Und schließlich der Hollyford River, der nach N fließt und bei der Martins Bay an der Westküste ins Meer mündet.

Nach dem Mittagessen fahren wir Richtung Homer Tunnel los. Dabei folgen wir dem Hollyford River flussaufwärts. Immer höher türmen sich die Berge vor uns auf. Rechts in der Eiszeit abgeschliffene dunkle Wände, gekrönt von Gletschern, aus denen kleine Wasserfälle stürzen. Links sind die Berge zwar auch so steil, erstaunlicher Weise aber bewachsen, auch die Schuttkegel. Sogar Bäume krallen sich an den Steilwänden fest.

Vor uns liegt der großartige vergletscherte Mt. Talbot. Von dort kommt der Hollyford River. Links davon eine senkrechte dunkle Wand, in die die Straße verschwindet und wieder links davon ein unwahrscheinlich steiler, hoher Berg, von dem ein langer dünner Wasserfall auf ein Schneefeld herabstürzt. Wo also geht es weiter? Die Maoris haben über die dunkle Wand einen Weg gefunden, später auch der Postbote. Bis dann der Tunnel gebaut wurde. Aber der lehrt mich das Fürchten. Klein und kaum beleuchtet (am Tag, wenn die Busse fahren, darf er zum Glück nur einspurig benützt werden) führt er 10% bergab! Und dann ist man drüben und steht wieder vor steilen Bergen, zwischen denen die Straße in vielen Serpentinen bis zum Meer führt.

Einmal noch machen wir Halt, um durch den Regenwald zu den Chasm Falls zu wandern. Eine Brücke führt genau über die Stelle, wo ein schäumender Gebirgsbach aus dem Gebiet des harten Gesteins tritt, das er kaum zu verändern vermochte, und sich in mächtigen Strudeln tief in weicheres Material eingräbt, in dem er so viele Löcher hinterlässt, dass der Fels aussieht wie ein Emmentaler. Nur dass ein Loch so groß ist, dass zwei entwurzelte Bäume darin Platz haben und wie Quirrln in einer Schüssel liegen. Auf einer Seite sind die löchrig ausgewaschenen Steine moosbewachsen. Ein Regenbogen bildet sich in der Gischt, einmal leuchtend, dann wieder ganz zart. Darunter sieht man den Fluss in einer tiefen Spalte tosend verschwinden.

Am Abend sitzen wir dann am Ufer des Milfort Sound , also eigentlich der Tasmanischen See, die sich zwischen Neuseeland und Australien ausbreitet. Es ist Ebbe. Sie gibt Sandflächen frei, auf denen ich weit hinausspaziere und dann zu Gerald zurückblicke, der winzigklein unter einer großen Südbuche sitzt, die aber wiederum ganz klein erscheint am Fuße der riesigen Berge, aus denen wir gekommen sind.

Wir gehen schlafen – am Campingplatz ist alles dicht gedrängt -, als die Sonne zwischen zwei Bergen untergeht. Spät in der Nacht wachen wir noch einmal auf. Vielleicht hat der Fliegenfischer von nebenan Lärm gemacht. Es ist schon ganz dunkel. Trotzdem schimmert ein ferner Gipfel noch schwach rosa vom Abendlicht. Mitten in der Dunkelheit.