Das nächste Buch bitte!

Manchmal treten Bücher wie Wesen in unser Leben. Wir genießen jeden Augenblick, den wir mit ihnen verbringen. Auch außerhalb der glücklichen Stunden des Lesens sind sie gegenwärtig, verändern den Alltag, färben Beziehungen, schärfen die Wahrnehmung. Von solchen Büchern trennt man sich nicht, auch nicht für kurze Zeit. Sie sind ein Teil unseres Lebens. Wenn wir wieder einmal bei der letzten Seite angelangt sind, seufzen wir zufrieden und freuen uns auf den nächsten Durchgang.

Für die Buchindustrie stellen sie jedoch eine große Gefahr dar. Die Zeit, die man mit ihnen verplempert, verstreicht ohne den Kauf neuer Bücher.

Pardon! Es gibt natürlich Ausnahmen!

Daher hat sich das Anforderungsprofil für ein Buch völlig verändert. Was früher als unsterblicher Beitrag für die Kulturentwicklung gefeiert wurde, wird heute gar nicht gedruckt. Gesucht sind Bücher, die die Sehnsüchte des Lesers wecken, aber niemals befriedigen. Voll Unruhe hastet er über die Seiten, sucht nach dem Unbestimmten, das er selbst nicht benennen kann, sehnt sich danach, es endlich zu finden und wenn er schließlich mit einer uneingestandenen Enttäuschung ein Buch schließt, greift er gleich zum Nächsten. Vielleicht ist ja dort das Gold, nach dem er schürft, wenigstens ein kleines Körnchen. Und so wird die aufgeblasene Buchindustrie am Leben erhalten. Immer schneller werden Neuerscheinungen auf den Markt geworfen, immer wertloser werden ihre Inhalte, immer rascher verliert die Öffentlichkeit ihr Interesse daran, immer kürzer werden die Abstände, in denen neues vielversprechend-unbefriedigendes Lesematerial nachgelegt wird. Ein riesiger Werbeaufwand begleitet diese Materialschlacht: Man muss dem Kunden einreden, dass ein Buch gut ist, denn es versteht sich nicht mehr von selbst. Man muss ihn glauben machen, dass er es unbedingt gelesen haben muss, will er etwas gelten. Jede Neuerscheinung ist die absolute Sensation… Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch der dümmste Kunde entdeckt, wie leer die Versprechungen sind, wie unwichtig manche der angeführten Literaturpreise und wie wertlos die angepriesenen Produkte. Dabei sehnt sich doch jeder sprachbegeisterte Mensch nach d e m Buch.

Als man begann, in vielen Verlagen nur mehr marktwirtschaftlich zu denken, hat man schon das Ende in Kauf genommen. Das Ende ist, nicht anders als in der Finanzwirtschaft, eine Blase. Und zum Glück wird sie einmal platzen. Und in der riesigen Flut an Geschriebenem wird man dann fischen nach dem Wenigen, das Wert hat, nach dem Wenigen, das uns wirklich bereichert, nach den kostbaren Büchern, die wie Wesen in unser Leben treten. Alles andere mag getrost den Bach runter gehen.