Ein wachsames Auge

Sebi ist fast zwei und damit jünger als die anderen Kinder beim Gartenfest. Ins große Schwimmbassin will er nicht einmal die Zehen hineinstrecken. „Er ist so vorsichtig“, sagen die Eltern und niemand denkt daran, ihm Schwimmflügerl aufzudrängen. Als die Gästeschar den unteren Teil des Gartens verlässt und sich erwartungsvoll um den Griller gruppiert, hat Sebi endlich alle Spielsachen für sich alleine. Spielend nähert er sich schließlich dem sonst gemiedenen Schwimmbecken und erklimmt vorsichtig die Stufen, die über den Beckenrand führen. Er weiß nicht, dass die nächsten Sprossen glitschig sind und dass das Wasser für ihn viel zu tief ist. Sebi überlebt sein Abenteuer, weil zufällig jemand vorbeikommt.

Das wachsame Auge darf nie schlafen. Selbst Teenager brauchen es und ohne es je zuzugeben, wollen sie es auch, solange man die Leinen locker genug lässt. Vielleicht ist gerade das die hohe Kunst der Erziehung, Schritt für Schritt die Grenzen zu erweitern und Verantwortung zu überlassen? Rückblickend muss ich bekennen, dass ich mich in beide Richtungen manchmal vertan habe. Interessanterweise kritisieren meine erwachsenen Kinder heute eher mangelnde Strenge, obwohl sie damals unausgesetzt gegen die Grenzen angelaufen sind.

Zu diesem Thema gefällt mir das Bilderbuch „Miko zieht aus“ von Weninger und Roehe. Der kleine Miko zieht aus Protest ins Gartenhaus. Die Mutter lässt ihn gehen, aber sie bleibt in der Nähe. Als er sich im Dunklen zu fürchten beginnt, schlägt sie eine Brücke, auf der er, ohne beschämt zu sein, wieder nach Hause gehen kann.