Von verwandelten Erwartungen

Ich treffe gerne Freunde bei Michaela, einer Frau mit reicher Lebenserfahrung und einem lebendigen tiefen Glauben. Unlängst haben sich nur Frauen bei ihr verabredet. Gabi erzählte: „Mir ist es in der letzten Zeit überhaupt nicht gut gegangen. Georg ist immer so spät aus der Gärtnerei gekommen und ich bin den ganzen Tag mit unserem kleinen Kind allein gewesen. Hausarbeit, stillen, einkaufen, füttern u.s.w. Ich hab immer schon so auf Georg gewartet und wenn er dann endlich spät heimgekommen ist, war ich schon auf 100. Das ist doch kein Familienleben! Das hab ich mir eigentlich anders vorgestellt.“

Michaela antwortete mit einer Erläuterung, die zunächst ziemlich provokant geklungen hat. Aber schließlich hat sie mich so beeindruckt, dass ich sie hier wiedergeben möchte: „Du bist frustriert, weil eine bestimmte Erwartung nicht erfüllt wurde. Eine Erwartungshaltung aber ist eine Fixierung. Sie klappt die Tür zum Partner zu, du siehst nur mehr dich selbst und durch Selbstmitleid fühlen sich deine Probleme dreimal so schwer an wie vorher. Eine Erwartungshaltung ist sozusagen eine Tür mit Innenspiegel.“ Gabi schüttelte den Kopf: „Soll ich keine Erwartungen haben? Würde ich nicht sonst mich selbst aufgeben?“ Michaela antwortete ihr: „Was passiert, wenn du eine Erwartung erfüllt bekommst? Es stellt sich Befriedigung ein, du fühlst dich für den Augenblick gestärkt. Aber schon bald brauchst du wieder eine Befriedigung und jemanden, der sie erfüllt. Je mehr Erwartungen dir der Partner erfüllt, desto mehr blähst du dich auf.“ Gabi ist verwirrt. „Soll man den Wünschen des anderen nicht entgegenkommen?“ – „Natürlich, damit zeigt man ja seine Liebe, sein Einfühlungsvermögen. Aber wenn man immer nur blind erfüllt und erfüllt, wird der andere schließlich dominant, oder es entwickeln sich beide in dieser Richtung, dann gibt´s Streit. Am Ende bleibt von dem Glück, das man sich erwartet hat, nichts übrig.“ – „Eine ausweglose Situation“, meinte eine aus der Runde, „entweder bist du frustriert, oder die erfüllten Erwartungen machen dich dominant.“ Michaela lächelte: „ Das ist überspitzt ausgedrückt.“

Jetzt meldete sich auch Gabi wieder zu Wort: „Ich habe mich sehr bemüht, tolerant zu sein. Ich versuchte, mich in Georg hineinzudenken. Ich erinnerte mich daran, dass ich immer Achtung vor ihm haben wollte und Respekt vor seiner Art, die Probleme des Alltags anzupacken. Aber ich war so ausgelaugt. Wir hatten in den letzten Wochen keine Zeit gehabt für irgendeine Abwechslung. Ich hatte das Gefühl, als würde mir die Decke auf den Kopf fallen. Ich konnte einfach nicht mehr.“ Michaela schaltete sich wieder ein: „Es gibt einen Ausweg!“ Gabi atmete auf: „Ich muss mich also nicht gleich scheiden lassen.“ Gelächter in der Runde. Dann versuchte Michaela, den Ausweg zu skizzieren: „Du gibst die Erwartung nicht auf, sondern versuchst, sie zu verwandeln . Schau, wie oft weißt du nicht genau, was wirklich gut für dich ist. Um wie viel weniger kannst du beurteilen, was deinem Partner gut tut! Du brauchst jemanden, der darüber steht, der jeden von euch kennt mit seinen Schwächen und verborgenen Möglichkeiten. Nur Gott kann in das Herz eines Menschen hineinschauen. Leg ihm deine Erwartungen in die Hände, verzichte vorerst auf ihre Erfüllung, und hoffe auf das, was das Beste für euch beide ist, ohne dass du schon weißt, wie das aussehen wird. Dies nennt man Hoffen wider alle Hoffnung. Hoffe, ohne Druck zu machen, denn Druck blockiert euch beide.“ – „Das habe ich bemerkt. Ich war so angefüllt mit Wünschen, Fragen und Dingen, die ich erzählen wollte, dass eigentlich für Georg gar kein Platz in mir war.“ An den Gesichtern einiger konnte ich sehen, dass ihnen die Probleme von Gabi ziemlich bekannt vorkamen. Michaela fügte noch hinzu: „Ihr versucht doch, eine christliche Ehe zu führen. Da ist Gott in eurem Bund der Dritte. ‚Er nimmt hinweg die Sünden der Welt.‘ Das heißt zum Beispiel: ‚Er nimmt hinweg die Enttäuschungen darüber, dass Erwartungen nicht erfüllt worden sind.‘ Du spürst dann nichts mehr davon. Deine Wut ist verflogen. Du hast Gott die Enttäuschung gegeben – Er führt dich dafür Schritt für Schritt an eine Erfüllung heran, die weit über eine bloße Befriedigung hinausgeht. Erst hier beginnt dann das wahre Glücklich-Sein.“

Eine aus der Runde versuchte ein Resümee zu ziehen: „Am Anfang steht also der Verzicht auf eine Erwartung, die subjektiv war, und am Ende steht eine Erfüllung, die über unser Hoffen hinausgeht.“

„Ah“, sagte Gabi. „Jetzt verstehe ich, warum wir einmal nicht zusammengekracht sind, obwohl Georg spät nach Hause gekommen ist. Ich hab zu Gott gesagt, bitte, nimm meinen Ärger weg. Da war ich viel ruhiger, als er heimkam. Er fühlte sich anscheinend nicht bedrängt wie sonst und konnte mir seine Zuneigung zeigen, indem er das Nachtmahl richtete und liebevoll den Tisch deckte.“ Gabi lächelte in der Erinnerung an jenen Abend. „Ja, dieser Abend war schön, obwohl eigentlich das Problem nicht behoben war.“ – „Es ist nicht dein Job, deinen Mann zu verändern. Du darfst darauf hoffen, dass Gott sich darum kümmert. Besonders in schwierigen Zeiten umarmt euch schweigend, wenn er heimkommt. Halte ihn fest und denk dir dabei: Es soll ihm gut gehen. Ich weiß ja, Gott lässt mich nicht im Stich. “