Herzklopfen

Es hatte zu pochen aufgehört. Seit jeher war ihm dieses Pochen vertraut. Gerade noch war es da gewesen, rasend schnell und besonders laut, aber derselbe Ton. Poch-poch immerzu. Und jetzt nichts. Es fühlte sich an wie Fallen. Er fiel noch, als er längst schon gebettet war. Das Tuch, das ihn einhüllte, roch nach der Mutter. Dann drang etwas anderes in seine Nase, scharf und ätzend. Das war der Aufprall. Er schrie. Bei jedem Atemzug füllten sich seine Lungen mit dem Gestank. Aber jeder Schrei übertönte diese entsetzliche Leere, dieses bedrohliche Nicht-Pochen. Seine kleinen Beine scheuerten über ein altes Spielzeug. Er schrie. Sein rechtes Ärmchen schlug immer wieder gegen eine abgenützte Haarbürste. Er schrie. Er schrie und das hielt ihn warm. Er schrie eine Stunde. Hoch und durchdringend. Aber niemand ging an diesem grauen Wintertag an den Mülltonnen vorbei und hörte ihn. Sein linker Arm lugte jetzt unter dem Tuch hervor. Aber niemand öffnete die Tonne und sah die winzige Hand die immer und immer auf ein leeres Milchpackerl aufschlug. Nach einer Weile hätte man auch nichts mehr hören können, wenn man vielleicht zufällig vorbeigegangen wäre. Das heisere Wimmern ging völlig im Brummen der Stadt unter. Während die kleine Hand noch zitterte, war es im kleinen Herzen schon warm. Wie ein sanftes Tuch wischte die Erinnerung an ein warmes Meer seine Ängste weg. Er nickte ein. Dann schrie er wieder, heiser, aber lauter jetzt. Oder war die Stadt leiser geworden? Es war Abend. Die Gassen, durch die er hätte einmal laufen sollen, waren menschenleer. Hüpfte er nicht dort an der Hand seiner Mutter? Im Kindergarten war noch Licht. Die Putzfrau wischte gerade die Bauecke, in der er einmal hätte spielen sollen. Eine Straßenbahn fuhr vorbei. Saß sein Vater da drin? Er schrie und seine kleine Hand schlug gegen das leere Milchpackerl. Er schrie sich einmal noch warm bevor er einschlief. Hättest ein Tischler werden können, oder ein Elektriker? Vielleicht hättest du schön singen können, oder malen. Wie viele Kinder hättest du gehabt? Hättest du ihre Mutter geliebt?

Um die Mülltonnen pfiff der Wind. Er trieb feinen Schnee vor sich her. Aus den Wohnungen schimmerte das Licht der Christbaumkerzen. Schmutziges Geschirr stapelte sich in den Küchen. Den Müll würde man erst nach den Feiertagen herunter tragen. Doch halt! Hier kam jemand mit einem Müllsack. Bitte nimm die Tonne ganz links! Ja, so ist’s gut. Und jetzt schrei noch einmal, kleiner Mann! 

Hans stand keuchend in der Tür. Elina verstaute gerade die Schischuhe in einer Tasche. „Na, du warst aber schnell wieder da! Kannst du mir den Koffer zumachen?“ – „Ja, nein! Den Koffer kannst du wieder auspacken. Schnell, zieh dich an! Wir müssen in die Klinik!“ Elina richtete sich auf und schaute ihren Mann entgeistert an. Sie hielt die Hand vor den Mund, um nicht laut aufzuschreien. „Schnell, den Autoschlüssel!“, drängte er. – „Lebt es?“, fragte sie, während sie zum Auto liefen. „Ich spüre sein Herz schlagen“, sagte er. „Es ist ein Christkind“, sagte sie. 

Maria Harbich-Engels