Träume

Dein Reich

Hast du schon einmal geträumt, so richtig geträumt
mit abgrundtiefen Seufzern
und einem Lachen bis zu den Wolken?
Bist du schon jemals auf einem feurigen Pferd geritten,
dahingejagt über den weißen Sand unter Palmen?
Hast du das Meer rauschen gehört?
Die wilden Schreie der Möwen?
Oder waren es deine Feinde,
denen du siegreich entkommen?
mit knapper Not, aber entkommen!
blutend vielleicht, atemlos, ohnmächtig fast,
aber siegreich!

Hast du schon einmal geträumt, so richtig geträumt
mit abgrundtiefen Seufzern
und einem Lachen bis zu den Wolken?
Warst du schon einmal dort in dem Land,
wo du bist, wer du sein willst,
ohne Barrieren aus Angst oder aus Konvention?
Warst du schon einmal dort?
Sag’s mir! Ich möchte es wissen!

Hast du schon einmal geträumt, so richtig geträumt
mit abgrundtiefen Seufzern
und einem Lachen bis zu den Wolken?
Nein?
Niemals noch hast du dich mit Odysseus nach Penelope gesehnt?
Noch nie Siegfrieds Eichenblatt verwunschen?
Hast keine Ahnung, wie man mit Windmühlen kämpft?
Du hast dich noch nie über Gretchens Erlösung gefreut?
Bist nicht mit Peer Gynt mitten hindurch gestürmt,
ohne Ausflüchte, ohne Wenn und Aber?

So ziehe jetzt los,
schlüpfe in tausend Gestalten,
werde König oder die weiße Zauberin,
zittere mit den Halblingen oder drücke Harry Potter die Daumen.
Tritt ein in das Land, das nur dir gehört,
das so aussieht, wie du es willst.
Tritt ein in dein Reich
und   lies!

 

Der Pfad

Ku-witt, ku-witt ruft`s aus dem Garten,
wo im halben Mondlicht die alten Apfelbäume warten,
wo der Tau den Frauenmantel netzt
und eine schmale Pforte mich in Trance versetzt.

Schon knirscht das Schloss, schon knarrt das Tor,
schon kommt das allererste Tageslicht hervor,
schon schlängelt, baumgesäumt, der Pfad sich hügelan
und zieht mich fort zum fernen Ozean.

© Maria Harbich-Engels