20. und 21. Dezember 2007

Obwohl es lautlos tappst, muss es uns geweckt haben: ein Opossum, schwarzer Schatten in der Nacht. Einst aus Pelzfarmen entkommen hat es sich hier unglaublich vermehrt und großen Schaden unter den endemischen Pflanzen angerichtet. Bei uns hat ihn nur der Mistsack interessiert. Wir kuscheln uns noch einmal in die Decken und beobachten durch die Seitenfenster unseres Busses, wie es langsam heller wird. Es regnet ein wenig, als wir Abschied nehmen. Auf einer Schotterstraße fahren wir lange zwischen braunen Hügeln, auf denen Schafe und Rinder nach Futter suchen, bis wir wieder die Canterbury Plains erreichen, wo die Weiden saftig sind und von riesigen uralten Hecken umgeben.

Gleich das nächste Tal interessiert uns wieder, das Tal des Rakaia Flusses. Er entspringt in den neuseeländischen Alpen, wird von zahlreichen Bächen und Flüssen gespeist und fließt vielarmig in einem weiten Bett aus grauem Schotter dahin. Erst auf der Höhe des Mount Hutt vereinigen sich die Arme zu einem breiten Fluss, der, ein gewundenes helltürkises Band, tief unten, eingeengt von steilen Felswänden, zwischen Wäldern, Wiesen und Feldern dahin fließt. Ein bewaldeter Felsen mitten im Flussbett bildet den Trittstein für eine historische Brücke, die in zwei Bögen das Tal überspannt. Hier tritt der Rakaia aus der Schlucht und verzweigt sich wieder in mehrere Arme, die sich verflechten wie eine wilde Haarsträhne, bis er schließlich, begleitet von seinem reichlichen Geschiebe und immer breiter werdend in den pazifischen Ozean mündet. Nachdem ich mir taunasse Hosenbeine am Rakaia Gorge Walkway geholt habe, fahren wir nach Mt.Somers . In einem kleinen weiß gestrichenen Selbstbedienungsladen aus Holz – wie die meisten Häuser im Land – bessern wir unsere Vorräte auf. Wir bewundern das Feuerwehrhaus: einfach und zweckmäßig. Hier wird kein Geld in Prestigebauten verschwendet.

Unser Weg führt jetzt nach NW, den Südast des Ashburton Rivers entlang. Vorbei an saftigen grünen Wiesen mit braunweißen Kühen im Tal und Schafen auf den Hängen der eiszeitlich gebildeten Hügel. Bei Hakatere – ich kann mich an keine Siedlung erinnern, aber ein Haus, glaube ich, hab ich gesehen – endet die Asphaltstraße. Eine Schotterstraße führt schnurgerade und unmerklich bergauf. Die Hügel rechts und links sind nicht mehr so üppig bewachsen. Braun mischt sich ins Grün, dornige Büsche sprenkeln die Hänge. Nach und nach wird es immer trockener und der Talboden immer breiter. Jetzt steht nur mehr braunes eingetrocknetes Gras in der Ebene und auf den baumlosen Bergen, die sich rechts und links bis in weite Ferne einer nach dem anderen erheben. Schafzäune säumen die Straße. Nicht lange und es kommt uns eine große Herde entgegen, getrieben von einem Hütecollie. Eine Frau führt einen jungen Hund zum Anlernen an der Leine. Ein sonderbarer Anblick in dieser endlos scheinenden Öde. Im aufgewirbelten Staub fahren wir weiter und erreichen nach dem Clearwatersee – mit Feriensiedlung und Wassersport eine fast unwirklich anmutende Erinnerung an die bewohnte Welt – die Wasserscheide. Auf einer immer schlechter werdenden Straße geht’s dann stetig bergab. Schon von der Ferne sehen wir den tief eingeschnittenen Canyon des Potts Rivers. Noch bevor wir ihn queren bietet sich uns ein atemberaubender Ausblick auf den Fluss, in den er mündet, den Rangitata . Seine Zubringer entspringen in denselben Bergen wie der Rakaia Fluss. Wir sehen sie im abendlichen Dunst am nördlichen Ende des kilometerbreiten Tales zwischen hohen Bergen gemächlich heraustreten und sich zu einem mächtigen Fluss vereinen. Von den Bergen, die ihn nach Westen zu begrenzen, kann man nur die Füße erkennen. Wolken wallen und lassen nur auf kleinen Flecken die Sonne ins Tal scheinen. Einmal glänzt der Fluss schemenhaft auf oder einer der vielen Bäche, die über Felsen aus den trockenen Bergen sprudeln und wie ein Netz die Talebene überziehen, wo schwarze Kühe mit ihren Kälbern weiden. Einmal erscheint ein buckelig gefurchter Berghang in sanftem Licht. Einmal liegt die Farm am nördlichen Ende des Tales wie von Scheinwerfern beleuchtet: mit seinen viereckigen grünen Flächen, auf denen Kühe, 2 große Pferde (wir entdecken später auf der Durchfahrt 2 Pferdepflüge!), Damwild und, wieder auf einer eigenen Weide, einige junge Pinzgauerstiere gehalten werden.

Übrigens, kein Tier in Neuseeland hat einen Unterstand – nur Pferde manchmal eine Decke -, obwohl die Sonneneinstrahlung intensiv ist, es im Westen oft regnet und stürmische Winde häufig sind. In Europa hat man wohl vergessen, dass die Nutztiere von wildlebenden Tieren abstammen und mit der Witterung gut umgehen können.

Hinter der Farm, am Ende dieser fast menschenleeren Welt, leuchten in den schräg durch die Wolken brechenden Strahlen der Abendsonne eine Reihe buckeliger grüner Hügel, die wie die Mützen dichtgedrängter Zwerge aussehen. Würde der eisige Wind uns nicht unter die Jacken und durch die Haare blasen, könnten wir die Szenerie für eine Filmkulisse halten. Und das ist nicht einmal so weit hergeholt. Aus dieser ungeheuren Ebene, deren ferne Ränder im Zwielicht verschwimmen, ragt ein einzelner Felsen heraus, ein kleiner langgestreckter Berg, Mt. Sunday, auf dem für „Herr der Ringe“ Edoras stand. (Heute ist nichts mehr zu sehen davon.) Von unserem Schlafplatz neben der Schotterstraße aus, geschützt vor dem bitterkalten Sturm durch einen kahlen Bergriegel, blicken wir auf ihn herunter. In der Nacht hören wir den Geländewagen des Farmers vorbeifahren. Wie lange muss er wohl unterwegs sein, um Einkäufe zu erledigen oder auch nur Freunde zu treffen? Am nächsten Tag betrachte ich Mt. Sunday von unten, ein Hügel nur unter den Bergriesen, von seichten klaren Flüssen umspült aus denen schwarze Kühe trinken, die argwöhnisch zu mir herüberblicken.