23. Dezember 2007

Um 5 Uhr früh färbt sich der Himmel dort, wo sich das Tal zum Pukaki See hin öffnet, rot. Man kann jede Zacke des Berggrates daneben erkennen. Die Gletscherwand hinter uns beginnt zauberhaft bläulich zu schimmern. Gegen 6 Uhr dann leuchtet sie rosa. Alles schläft noch am Campingplatz. Nur eine leuchtend buntbraune Paradiesente mit weißem Kopf, und Flügeln halb weiß halb dunkelgrün, setzt sich auf unser Autodach, um die ersten Strahlen der Morgensonne zu genießen. Ihre 5 Jungen rupfen eifrig Gras und legen sich dann räkelnd vor unser Auto, während das dunkle Männchen, braun mit schwarzem Kopf, ruhig auf sie aufpasst. Jede einzelne Feder dieser Tiere ist bunt und schön.

Nach dem Frühstück besuchen wir einen Urwald aus Silver Beeches , der durch irgendeinen glücklichen Zufall von den endlosen Wäldern, die einst das Land bedeckten, noch übrig geblieben ist. Die hellgrauen Stämme werden im Alter rau und von Flechten und Moosen bedeckt. Man braucht 2 bis 3 Menschen, um sie zu umfassen. Dicht wachsen die kleinen fast runden immergrünen Blätter an den Zweigen. Sie sind gezähnt, immer zwei gerundete Zähne stehen zusammen. Die Silver Beeches bilden große Kronen. Trotzdem wirken sie duftig, da die dunklen Blätter so klein sind. Am Waldrand wachsen viele verschiedene Bäume und Sträucher: Ribbonwood , der als einziger im Winter seine fliederblattgroßen, scharf gezähnten hellgrünen Blätter verliert, dann allerdings blassgelb gefärbt, Mountain Totara , ein Nadelbaum und Toatoa , dessen blass blaugrüne Blättchen eigentlich umgebildete Zweige sind, Breitblatt mit seinen dicken glänzenden leuchtendgrünen Blättern, Fünffingerbäume mit 3- bis 5-fiedrigen großen Blättern auf langen Stielen, Kanukas mit kleinen weißen Blüten und nadelkleinen Blättern, der Grasbaum , der aussieht wie er heißt, große Kowhais mit ihren winzigen gefiederten Blättern und viele verschiedene Büsche mit kleinen runden Blättern und bizarren Zweigen. Wir kommen zu einer Schlucht aus der ein Wildbach strömt in den ein Wasserfall von der Steilwand herabfallt. So viele verschiedene Bäume und Sträucher wachsen an den Felswänden! Oft Miniaturausgaben der Bäume am Waldrand.

Am Nachmittag, während Gerald rastet, breche ich bei hellem Sonneschein zum Hookergletscher auf. Über die Endmoräne zum Aussichtspunkt auf den Müllergletschersee, bis hierher sind wir gestern gemeinsam gekommen, über den weiß schäumenden Gletscherfluss in eine Moränenlandschaft hinein, bewachsen wie unser Hochgebirge mit kniehohen Büschen und Blumen, nur dass sie ganz anders aussehen. Niedrige Grasbäume, verkrüppelte Totaras, riesige gelbe Stachelkerzen, kleine Nadelpflanzen mit roten Beeren, Büsche mit Trauben kleiner weißer Glöckchen, Gänseblümchenbaum: sieht einer Margarite ähnlich und wächst aus einer Blattrosette ähnlich einer Ananas, nur silbrig weiß behaart. Ein reißender, milchweißer Fluss hat sich seinen Weg in den Müllergletschersee gebahnt. Auf einer schmalen Hängebrücke überquere ich ihn – fast hätte mich eine plötzliche lang anhaltende Sturmböe heruntergerissen – und folge ihm flussaufwärts zum Hookergletschersee. Der Weg führt jetzt wieder über Felsen, dann über eine Ebene mit Tussokgras. Wieder Felsen. Es tröpfelt, beginnt zu regnen und wird zunehmend düster. Der Sturm bläst mir in immer stärkeren Böen entgegen. Ich klettere über einen Schotterhügel und stehe vor dem Gletschersee. Er ist in einem Kessel aus hohen von ewigem Eis bedeckten Bergen gefangen. Der Sturm fährt durch die dunklen Wolken, reißt sie auf, bringt neue und mit ihnen Schauer um Schauer. In das hintere Ende des Sees ragt die riesige, mit einer dicken Schotterschicht bedeckte Gletscherzunge herein. Der Abbruch muss so hoch sein wie ein Hochhaus. Eis bricht herunter, ich sehe das Wasser hoch aufspritzen, aber es ist bloß ein Geplätscher am Fuß dieses Riesen. Nur mit Mühe kann ich dies alles beobachten, denn der Sturm peitscht aus dieser Richtung, schleudert die Regentropfen wie kleine Steine in mein Gesicht und macht mich nass und trocken zugleich, je nachdem, ob die Seite von mir ihm zu- oder abgewandt ist. Von den hohen Bergen rechts vom Gletschersee schimmern durch den wallenden Nebel Schneefelder herab. Links sind steile schottrige Wände, an deren Fuß mein Weg führt. Einmal rutsche ich fast ab. Dann muss ich über einen reißenden Bach, der aus der schottrigen Wand herabstürzt. Die Steine werden dem Gletschersee zu immer feiner und flacher. An einer Stelle ist sogar ein richtiger Sandstrand, an den der Sturm die Wellen wie eine Meeresbrandung peitscht. Übermannshohe Eisberge schwimmen im See, manche eingepanzert vom Schotter, manche blau schimmernd in den sonderbarsten Formen. Verborgen hinter großen Felsen suche ich für Augenblicke Schutz vor dem Orkan, der vom Gletscher herbläst und mache ein paar Fotos, dazwischen den Fotoapparat immer abtrocknend.

Am Rückweg folgen mir die Regenwolken langsam und hüllen jetzt auch die Gletscherwände zu meiner Rechten in Nebel. Eineinhalb Stunden brauche ich bis zum Campingplatz. Dort ist es noch warm und trocken und auf dem Lake Pukaki in der Ferne leuchtet die Sonne. Erst in der Nacht wird uns der Regen erreichen, heftigen Steinschlag bewirken und einen kleinen Regenbogen neben unseren Bus zaubern.