23. Jänner 2008

Es ist trüb und bedeckt, als ich aufwache. Ich will den Strand nach Süden wandern, so weit ich ihn sehen kann, noch weiter als gestern, ca. eine Stunde weit. Es ist Ebbe. Das Meer hat ein breites Stück aus feinem Kies wieder ganz glatt gemacht. Dünne Bögen aus gröberem Material zeigen die äußerste Reichweite der letzten Flut an. Jetzt macht das Meer wieder Bögen in den Kies: Bögen aus Schaum, als würde es sagen: „Bis hier her gehört der Strand schon wieder mir!“. Wenn ich es nicht akzeptiere, weil mich ein schöner Stein lockt, muss ich laufen, um keine nassen Füße zu bekommen. Der Seegang ist heute viel höher als die Tage zuvor. Die weißen Gischtpferde sind viel weiter draußen. In Strandnähe entstehen lange Wellen, an denen eine Gischtfontäne entlangläuft. Während ich den Kies absuche, muss ich immer das Meer im Auge bzw. Ohr behalten. Man kann es hören, wenn eine besonders große Welle heranbraust. Ein paar riesige Stämme sind auf den Uferkies gespült worden, der von Flax gesäumt ist. Dahinter wächst niedriges Buschwerk bis zum Fuß der regenwaldbewachsenen und wolkenverhangenen Hügel, von wo immer wieder Schauer zu mir herüber kommen. Aber meist bläst der Wind aus Südwest, dort, wo ein Stück blauen Himmels zu sehen ist. Ich werde nass geregnet, der Wind bläst mich wieder trocken, das Meer schäumt und tost und kommt und geht. Ein Nebel aus Gischt und Wolken verschleiert die Küste. Ganz in der Nähe unseres Busses muss eine Robbe geschlafen haben, denn als ich in der Früh hinauskletterte und einen Jauchzer in Wind, Wellen und Regen rief, schreckte sie auf, lief zum Wasser, blickte noch einmal wehmütig zurück zu ihrem ruhigen Plätzchen und ließ sich dann von den Wellen holen.

In Punakaiki gehen wir ins Craftshop um uns noch einmal an den schönen Stücken zu freuen. Gerald kauft einen wunderschön geschliffenen Serpentin. Wir essen Sharktail und gehen noch einmal zu den Blowholes . Durch den hohen Seegang ist das Schauspiel noch beeindruckender als beim letzten Mal. Aus dem „Sudden Sound Hole“ kommt hin und wieder sogar weißer Dampf. Es stampft in der Tiefe, dumpfes Pochen, unregelmäßig fernes Schnaufen, dann ein lautes tosendes brüllendes Schnauben und Blasen. Man kann weit über die noch dunkle, verhangene Küste blicken. Schon ganz draußen am Meer brechen die riesigen Wellen zum ersten Mal und machen weithin sichtbare Schaumkronen. Herinnen immer dichter werdend kommt Welle auf Welle, Gischtnebel hüllt das Ufer ein, Schaumflocken bleiben auf den Felsen hängen und werden durch die Luft geblasen. An einer Stelle kommt nur alle paar Minuten Wasser herein. Jedes Mal geht es einen anderen Weg. Zuerst rauscht es tief unten, dann sprüht Gischt, die Sonne kommt kurz heraus, ein Regenbogen bildet sich, es spritzt hoch auf, alle werden nass, oder es bläst nur eine Dampfwolke, es sprüht in diese Ecke, braust aus dem Spalt oder es klatscht auf jenen Felsen. Dann rinnt der Schaum in wunderschönen weißen Bächen an den bizarren Felsen herunter und schließlich sind nur mehr die nassen, quer gerippten Wände zu sehen und in der Tiefe hört man es tosen.

Kanufahrt am Pororari River:

Von einem freundlichen Mann, der mit seiner Familie in einem Holzhaus an der Mündung des Pororari wohnt und einen Kanuverleih betreibt, borgen wir uns ein Doppelkanu aus. Er mahnt uns zur Eile, da bald die Ebbe einsetzen würde mit einer starken Sogwirkung auf den Fluss. Wir ziehen rasch kurze Hosen an und cremen die Beine mit Sonnenschutzgel Faktor 30 ein. Wie sich jedoch bald herausstellen wird, wirkt das erst eine Stunde später; da haben wir schon einen Sonnenbrand. (Die der Sonne ausgesetzten Körperteile behandeln wir jeden Morgen auf diese Weise, auch wenn es bedeckt ist, da die schützende Ozonschicht über Neuseeland sehr dünn ist und Hautkrebs dementsprechend häufig.)

Wir paddeln im moorig dunklen Wasser langsam flussaufwärts. Rechts und links steigt der Regenwald mit Nikaupalmen und mächtigen Baumfarnen steil an. Flax steht am Ufer, Wurzeln hängen über, eine kleine Schotterbank zum Rasten, ein Felsen in der Mitte… Das Gefälle ist gering und wir kommen gut voran. Die Sonne brennt vom Himmel, aber vom Meer blasen kalte Windböen herein, die die Fahrt angenehm machen. Auf beiden Seiten ragen aus dem Dschungel Steilwände aus geripptem Kalkstein empor. Wir sehen Überhänge, Höhlen, eine Kanzel hoch oben, mitten aus der Wand hervorspringend. Man könnte stehen darauf. Ganz oben gegen den Himmel wachsen Bäume direkt am Abgrund. Von hier aus wirken sie wie Bonsais.

Auf einem Felsen am Fluss sitzt ein Kormoran, schwarz, das Gesicht z.T. weiß (Black Shag). Er äugt zu uns herüber, während wir nahe an ihm vorüber paddeln, dann streckt er seine schwarzen Füße – wir sehen die Schwimmhäute zwischen den Zehen – breitet seine schwarzen Flügel aus und gleitet über das Wasser davon. Die Strömungsgeschwindigkeit hat inzwischen rasch zugenommen, wir kommen kaum mehr dagegen an. Das reißende Wasser in einer Engstelle schreckt uns und wir rasten auf einem Felsen. Dann lassen wir uns stromabwärts treiben und betrachten die herrliche Schlucht und den Kormoran, der uns voraus geflogen ist. Wir kommen uns vor wie am Amazonas. Die Ebbe zieht uns meerwärts und rasch fahren wir an der Anlegestelle vorüber.

So erleben wir den Fluss, wie er ins Meer mündet. Er macht einen Bogen nach rechts, während vor uns eine weiche Schotterbank liegt. Ganz eben ragt sie aus dem Wasser: hier Fluss und dahinter das Meer, dessen Schaumkronen wir schon sehen können. In der Flusskrümmung hat sich feiner Sand abgelagert, in dem Kinder spielen. Plaudernde Mütter sitzen auf einer Decke. Weiter vorne hocken Möwen mit ihren halbwüchsigen Jungen, die lautstark um Futter betteln. Eine flache Rinne quer durch die Sandbank ist nur bei Flut unter Wasser. Jetzt zieht sich das Meer zurück, nur mehr große Wellen stoßen hindurch, hinterlassen ein Bogenmuster in der sandigen Rinne, bleiben schließlich ganz aus. Jetzt kann man auch die Spitze der Sandbank begehen. Ich springe aus dem Boot, um es anzuhalten, denn der Sog des Meeres wird übermächtig. Wir sehen schon die wilden Meereswellen in die Flussmündung hereinschlagen. Ich ziehe das Boot ein Stück von der Kiesinsel aus flussaufwärts, aber sie ist sehr weich und bröckelt immer ab. Langsam paddeln wir zurück und sehen eine weitere Sandbank, die inzwischen aufgetaucht ist, dort, wo ein zweiter Fluss in den Pororari mündet und wir vor zwei Tagen Mittag gegessen haben.

Jetzt geht es nach Westport, anfangs das Ufer entlang. Aus feinem Sand ragen schroffe Felsen, die bei Flut im Wasser stehen. Von einem Aussichtspunkt aus sehen wir die vielen Buchten und die weißen Linien der Brandung. Da und dort steht ein Holzhäuschen, Blumen rundherum, wahrscheinlich Ferienhäuser. Ich stelle mir vor, wie schön für die Besitzer der Augenblick ist, wenn sie wieder hier einziehen und am Meer sind. Die Wälder nahe am Ufer haben ein abgeplattetes Kronendach, die entfernteren, meist steilansteigenden Hänge sind mit Büschen, Baumfarnen und Flax bewachsen. Die Straße verlässt jetzt die Küste und führt durch waldige Hügel. Ich glaube wieder Südbuchen zu sehen. Im Osten stehen dunkle Waldberge mit kahlen Gipfeln. Bald gelangen wir in eine weite Ebene mit Milchkuhfarmen und erreichen schließlich den Campingplatz von Westport . Wäsche waschen, Geschirr waschen, Akkus aufladen. Bei Sonnenuntergang laufe ich zum Meer. Welche Überraschung! Es ist Ebbe. Der flache, nasse Sandstrand spiegelt einen fantastischen Sonnenuntergang, sowie die rot angestrahlten Wolken im Osten. Menschen gehen im gleißenden Licht durch den Sand. Zum ersten Mal fotografiere ich fremde Kinder. Mein Heißhunger nach Einsamkeit scheint vorerst gestillt zu sein. Am nächsten Morgen gehe ich noch einmal auf diesen riesigen natürlichen Spiegel, um auch den Sonnenaufgang doppelt zu genießen.