Alles selber machen?

„Wenn Mama stirbt, werde ich das Kind zweier Selbstmörder sein.“ Anna sitzt am Krankenbett ihrer alternden Mutter, die nach einer Überdosis Schlaftabletten im Koma liegt. Ihr Vater hatte nach einem Schlaganfall keinen Sinn mehr in seinen Leiden gesehen und mit Hilfe der Mutter sein Leben vorzeitig beendet. Erst jetzt fällt ihr das schwer aufs Herz. Verzweifelt und schließlich mit Erfolg ruft sie die Mutter zurück ins Leben. Die ist zunächst gar nicht erfreut darüber. Was soll sie noch hier? Ihre Kinder hat sie, trotz Naziverfolgung und Flüchtlingsschicksal so weit durchgebracht, dass sie sehr gut auf eigenen Beinen stehen. Und ihr Lebensgefährte hat eine jüngere Freundin. Was also soll sie noch hier?

Judith Kerr lässt ihren autobiographischen Roman „ Eine Art Familientreffen“ damit enden, dass Anna glücklich von Mutters Krankenbett zu ihrem Mann zurückkehrt. Dort fühlt sie sich geborgen. Gemeinsam freuen sie sich auf ihr erstes Kind.

Aber – hat es bei ihrer Mama nicht genau so begonnen? Sie war auch einmal glücklich mit Mann und Kind. Während Flucht und Exil hat sie die Hauptsorgenlast getragen. Sie war diejenige, die organisiert hat, die Geld ins Haus gebracht hat, die alle Hebel in Bewegung gesetzt hat, um ihren Sohn aus dem britischen Internierungslager herauszubekommen. Und was ist ihr geblieben? Sie hätte eigentlich glücklich sein können. Ihren Kindern ging es gut. Sie hatte eine interessante Beschäftigung und war endlich frei von Geldsorgen. Aber sie hat aus der Vorstellung, alles würde an ihr hängen, nicht mehr herausgefunden. Sie war ständig unter Druck, konnte nicht voll genießen, war deshalb zwar spannend für ihren Freund, aber eben auch aufreibend.

Eigentlich schade. Wenn sie gläubig gewesen wäre, wäre alles viel leichter gewesen. Dann hätte sie zwar auch ihr Bestes gegeben, aber sie hätte darauf vertrauen können, dass Gott ihr Bemühen ergänzt. Dann wäre die Last der Verantwortung nicht so schwer gewesen und die Kinder hätten mehr Geborgenheit erfahren. Dann hätte sie ruhig zusehen können, wie ihr Mann in Gottes Hände gleitet. Dann hätte sie eine gute zweite Ehe führen können und einen zweiten Frühling erlebt. Sie wäre kein Alptraum für ihre erwachsene Tochter gewesen, sondern aufbauend und ermutigend. Wenn sie es zugelassen hätte, wäre Gottes Hilfe für sie spürbar geworden. Es hätte sie glücklich gemacht, weil sie sich geliebt gewusst hätte. Ihr Leben wäre ihr nicht sinnlos vorgekommen, sondern erfüllt.