Die rote Flut

Wie sehr haben uns die Bilder aus Ungarn berührt! Die zerstörten Häuser, die verseuchten Felder, die verzweifelten Menschen, die toten Fische, die verendeten Haustiere. Oder die Katze, die ihr Fell verloren hat.

Mir ist am meisten der Kommentar der Betriebsleitung hängen geblieben: „Wir haben alle EU-Richtlinien erfüllt. Uns trifft keine Schuld an der Katastrophe.“ Sie übernehmen keine Verantwortung, denn sie haben nie eine gehabt. „Umsicht“, „Vorsicht“, „Zivilcourage“ sind Fremdwörter für sie, „Aufsicht“ bezieht sich nur auf die Produktivität und nicht auf die Produzierenden, „Rücksicht“ nehmen sie nur auf ihre persönlichen Interessen, nicht einmal auf die des Betriebes. Denn der Betrieb besteht aus Menschen und Menschen müssen leben und das können sie nicht mehr im schlammverseuchten Gebiet. Sie haben ihre Heimat verloren, ihre Gärten, ihre Tiere, ihr Sozialgefüge und ihr Vertrauen. Denn niemand kann ihnen weismachen, dass das Leid, das sie durchmachen, ihnen nicht von Menschen angetan wurde. Auch wenn es keiner gewesen sein will.

Denn Verantwortung beginnt beim aktiven Interesse für die Produkte, die man erzeugt, für die Menschen, die sie produzieren und für die Menschen, die sie verwenden, für die Menschen, die in der Umgebung wohnen und für die Umwelt, in, aus und mit der die Menschen leben. Ein Mensch, der kein Interesse für die ihm anvertrauten, ihm vertrauenden oder ihm ausgelieferten Menschen hat, sollte eigentlich außerhalb der menschlichen Gemeinschaft leben.

Die Bilder einer toten Landschaft, einer getöteten Landschaft, werden wir nie vergessen. Wollte jemand ein Lehrstück schreiben über Verantwortungslosigkeit, er könnte keine drastischere Geschichte erfinden. Am Ende schleicht sich die Katze, die in der Brühe ihr Fell verloren hat, und stirbt einen einsamen Tod.