Fernseh-Welt

Unlängst las ich einen türkischen Roman. Jede Busfahrt, jedes Abendessen, jedes wichtige Gespräch, das ganze Leben war dort vom Fernsehen untermalt, – oder soll ich sagen überdeckt? Als ich mich mit meiner Freundin darüber unterhielt, meinte sie, bei uns sei es genauso. Sie ist Ärztin und kommt auf ihren Visiten in viele Wohnungen.

Bei uns zu Hause gibt es natürlich auch ein Fernsehgerät, das von den einzelnen Familienmitgliedern auch mehr oder minder genutzt wird. Aber wir essen nicht vor dem Bildschirm, schauen nur ausgesuchte Filme und es gibt oft auch gänzlich fersehfreie Tage. Ich selbst komme wochenlang ohne aus, überhaupt seit ich zu schreiben begonnen habe. Da ist mir die Zeit zu kostbar. Vielleicht ist mir dadurch schärfer bewusst, dass durch die ständige Berieselung das volle Leben verhindert wird. Das hat mich zu einem Gedicht veranlasst:

Wär ich ein Engel heut abend

und könnte fliegen von Haus zu Haus

durch Dörfer und Städte und nachtdunkle Täler

wie viele Menschen vor dem Bildschirm würde ich sehen

in fremdem Licht, amüsiert von fremden Geschichten

von verdrehten Berichten entsetzt

von gekitschtem Schicksal ergriffen

doch taub für die Not

oh, könnt ich sie zählen

die ungesprochenen Worte

die niemals erzählten Geschichten

die ungeträumt gebliebenen Träume

oh, könnt ich sie sammeln für spätere Zeit

Du wie ein Engel

füll deine Tränen in Becken

wenn aus vertrockneten Seelen Schösslinge treiben,

werden sie durstig sein