Unter dem Kalanderbaum oder Das Erwachen des Saul Barnard

Unter dem Kalanderbaum oder Das Erwachen des Saul Barnard
Dalene Matthee
Übersetzt v. Gisela Stege

Der dramatische Roman spielt im südafrikanischen Dschungel.

Dalene Matthee, eine Nachfahrin des schottischen Schriftstellers SirWalter Scott, lebte von 1938 bis 2005 mit ihrer Familie in der Kapprovinz von Südafrika. Bevor sie ihre ersten Kurzgeschichten veröffentlichte, war sie Musiklehrerin. Auf langen Wanderungen erwarb sie sich eine umfassende Kenntnis der Flora und Fauna ihrer Heimat. „Unter dem Kalanderbaum“ erschien 1984 in Afrikaans. Die Autorin übersetzte den Roman gemeinsam mit ihrer Tochter ins Englische, worauf er weltbekannt wurde.

Ein tausendjähriger sogenannter Kalanderbaum, ein südafrikanischer Gelbholzbaum, wird von einer armen, aber an Können reichen burischen Holzfällerfamilie nur mit Hilfe von Äxten zu Fall gebracht. Saul Barnard, der zweitälteste Sohn, der 14-jährig beginnt, mit Hand anzulegen, spürt unter diesem Baum zum ersten Mal den Urwald sterben.
Selbst im Skerm (Holzfällerhütte) hörte man das Knarren des Baumes. Um Mitternacht hatte Saul das Gefühl, ersticken zu müssen… Am liebsten wäre er hinausgelaufen und hätte sich die Ohren zugehalten, aber er fürchtete, die Grootvoete (Elefanten) würden kommen und ihn zertrampeln. Am Sonntag knarrte der Baum den ganzen Tag, als hätte er Schmerzen, und je verbissener Saul versuchte, seine Phantasie zu zügeln, desto hartnäckiger war das Gefühl, das Knarren ginge mitten durch seinen eigenen Körper.
Nur aus Trotz gegen die ausbeuterischen englischen Holzaufkäufer hat sich der Vater an diesen Baum herangewagt. In wochenlanger schulternzerreißender Arbeit wird der Baumriese zersägt und schließlich mit einem Gespann aus 16 Ochsen zum Holzaufkäufer gebracht. Doch der zahlt wieder nur einen Spottpreis und das in Form von Zucker, Mehl und Kaffee. Aber er hat eine rebellische Tochter. Sie ist erst 12, als sie zum ersten Mal heimlich im Schuppen auftaucht, wo Saul schläft, seit der Vater ihn wegen seiner aufrührerischen Reden verjagt hat und er beim Holzaufkäufer ein Sklavenleben lebt. Zwei Jahre währt die wunderbare Zeit der heimlichen Besuche. Er will sich seine Liebe nicht eingestehen und berührt sie nie. Als der Vater dahinterkommt, muss Kate 500 Mal schreiben: „Holzfäller sind wild und schmutzig und ihre Kinder ebenfalls.“ Dann bringt sie der Vater fort.
Der Urwald ist Sauls Welt. Er kennt jeden Baum, jeden Vogel und seine größte Gefahr: die Elefanten. Oupoot ist der älteste und weiseste von ihnen. Maska, ein alter Farbiger, sieht einen besonderen Zusammenhang zwischen Saul und dem König der Elefanten, er behauptet, dieser kenne Saul genau und habe ihn zu seinem Menschenbruder erkoren. Saul, inzwischen durch Goldwaschen wohlhabend geworden, ist zu nüchtern, um daran zu glauben. Doch als er, schon an Bord des Schiffes, das ihn seinen Wurzeln und seiner verbotenen Liebe entreißen soll, erfährt, dass Oupoot erschossen werden soll, geht er noch einmal zurück in den Dschungel.
Hier beginnt die Geschichte und in den wenigen Tagen bis zu ihrem Ende entrollt sich in Rückblenden alles, was vorher war, spannend, schrecklich und schön.
Das Werk ist zuerst ein Entwicklungsroman. Vor dem geschichtlichen Hintergrund vom Ende des 19. Jahrhunderts mit all ihren sozialen Ungerechtigkeiten führt er hautnah an Sauls Auseinandersetzung mit der Welt des Vaters heran, an seine Sehnsüchte, Schmerzen und Bitterkeiten. Gleichzeitig riecht, fühlt man mit ihm den Urwald. Das zweite große Thema, der Umweltschutz, verleiht dem Buch angesichts der unausgesetzten Rodung von Regenwald eine brennende Aktualität. Wir spüren die ganze Ohnmacht eines Menschen, der die Zerstörung nicht aufhalten kann. Und doch bleibt ein Hoffen. Ein Hoffen, das unter anderen Maska, der Farbige, verkörpert, der sich um Sauls Versöhnung mit seiner Familie bemüht und ein Hoffen, an dem Kate nicht unbeteiligt ist. Sie versteht Saul und seine Liebe zum Wald. Das ist dann auch der dritte Aspekt dieses leidenschaftlichen und zugleich poetischen Romans: die wundervoll zarte Geschichte einer Liebe.

© Maria Harbich-Engels